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Liebe Frauen und interessierte Männer,

sehr oft lese und höre ich den Satz: „Ich wünsche mir einen Mann auf Augenhöhe.“

Dieser Satz lässt in mir einige Fragezeichen aufsteigen. Was genau meinst du damit?

Was für eine Beziehung wäre denn nicht auf Augenhöhe? Eine in der der Mann das Sagen hat und du nicht? So wie früher?

Oder eine in der du das Sagen hast?

Eine, in der einer der beiden intellektuell überlegen ist?

Was genau meinst du mit Augenhöhe?

Wenn du diese Formulierung schon mal benutzt, dann halte doch jetzt einmal inne und überlege vor dem Weiterlesen, was genau du damit ausdrücken möchtest.

 

Was könnte mit Augenhöhe gemeint sein?

Was für einen Mann wünschst du dir? Einen der gerne kommuniziert, zB über Beziehungsdinge, der an Entwicklung interessiert ist und sich mit dir auseinandersetzt? Vielleicht auch einer, der dir sehr ähnlich ist. Es ist legitim, diese Wünsche zu haben. Ich halte es aber für besser, sie dann auch deutlich zu formulieren.

Manchmal steckt hinter dem Wunsch nach „Augenhöhe“ auch die Angst vor Gegensätzlichkeit. Die Furcht vor echter Auseinandersetzung mit dem vielleicht komplett anders gelagerten Pol – dem Männlichen.

Männer sind anders – meistens. Die Hormone ticken anders, der sexuelle Pol ist ein anderer als bei einer Frau. Sehr häufig neigen Männer dazu, ihre Probleme eher für sich zu lösen und ziehen sich dafür zurück. Frauen dagegen kommunizieren meist lieber, um zu einem Ergebnis zu kommen. (Natürlich spreche ich hier von Schwerpunkten und nicht von ALLEN Männern oder Frauen.)

Sind es diese Gegensätze, die du vermeiden möchtest? Hast du Furcht vor der Spannung, die darin liegt? Oder davor, keine echte Nähe herstellen zu können, wenn starke Gegensätze im Spiel sind?

 

Geht es um Bewusstsein oder Spiritualität?

Eine Essenz aus meine Beziehungserfahrungen ist, dass es nicht um Augenhöhe geht, sondern eher um Bewusstseins-Entsprechung. Also darum, ob dein Partner ähnlich interessiert an der Erforschung der essenziellen Erfahrungen des Menschseins ist wie du (also ein spirituelles Interesse hat) oder ob er mit den Themen der Weltwirklichkeit zufrieden ist.

Weiterhin ist wichtig, ob Entwicklungsbereitschaft besteht. Hier nehme ich allerdings auch oft eine Schieflage bei Frauen wahr. Es gibt in der psycho-spirituellen Szene eine gewisse Überheblichkeit von Frauen, die meinen, „weiter“ zu sein als ihre Partner. Das möchte ich sehr in Frage stellen. Alles, was du an deinem Partner kritisierst, ist immer auch dein Thema. Wenn es dich so richtig nervt, dann schaust du gerade in einen Spiegel und siehst, was in dir noch im Argen liegt. Und versuchst, diesen unliebsamen Aspekt beim Mann zu verändern. Nach meinen Erfahrungen sind Frauen wesentlich kritischer mit dem anderen Geschlecht als umgekehrt.

Oft gibt es auch den Wunsch, der Mann möge doch bitte nicht die Seiten triggern, die in einem selbst noch ungeklärt und schmerzhaft sind. Der Mann soll schon so „entwickelt“ oder „so weit“ sein, wie man sich selbst sieht. Frau möchte also eigentlich, dass der Mann schon weiter ist als sie selbst, damit er keine Themen mitbringt, die sie verletzen könnten. Doch ehrlich – das ist eher Angst vor Entwicklungsimpulsen. Ich erlebe häufig, dass Frauen sich für sehr reif und entwickelt halten, aber jedem Mann, der etwas näher kommt, überaus kritisch begegnen.

Das ist keine Reife. Das ist Vermeidung.

Reife ist, liebesfähig zu sein (oder es immer mehr zu werden). Das heißt, den anderen in seinem wahren Naturell zu erkennen und ihn mit seinen vielleicht noch verknoteten Strukturen anzunehmen im Vertrauen, dass er sein Bestes gibt.

Jede Beziehung ist ein Entwicklungsbiotop. Alleine zu sein ist wesentlich einfacher als sich mit einem Menschen abzugleichen und auseinanderzusetzen. Verletzungen, die mit Nähe zu tun haben, werden sich melden, vieles kommt nach und nach auf den Tisch, wenn man in einer nahen Beziehung lebt. Das passiert nicht so sehr, wenn man Single bleibt.

Wenn du aber echtes Wachstumsinteresse hast, ist Beziehung der beste Entwicklungsbeschleuniger, den es gibt. Es ist ein Reife-Booster – zumindest dann, wenn du die Impulse annimmst. Und das kannst du tun, egal, ob dein Partner es ebenfalls tut oder nicht. Du kannst lernen, deine Wünsche immer differenzierter wahrzunehmen und zu benennen anstatt zu erwarten, dass dein Partner sie errät und erfüllt. Vielleicht spürst du auch erst einmal, dass du deine wirklichen Bedürfnisse gar nicht kennst….

Es ist ein Feld, in dem es viel zu erforschen gibt.

Wie verwendest du den Begriff? Vielleicht hast du ein ganz klares eigenes Bild von dem, was sich hinter dem Begriff „Augenhöhe“ verbirgt. Es würde mich interessieren.

 

 

Bild: Gert Altmann

Streit – kaum einer möchte ihn und doch lässt er sich nicht immer verhindern. Ich war vor kurzem Zeugin und Vermittlerin in einem Streit, in dem sich extrem anschaulich verschiedene Phasen und Zustände beobachten ließen. Diesen Streitablauf möchte ich hier beispielhaft schildern, weil das Wissen um die Zustände, in denen man sich befindet, helfen kann, schneller wieder auf eine bewusste Ebene zu wechseln und heilsame Erkenntnisse zu gewinnen. So kann aus einem hoch emotionalen Geschehen am Ende eine konstruktive Entwicklung mit wertvollen Wachstumsgeschenken werden.

Du streitest nie über das, worüber du denkst, dass du streitest

Die Auseinandersetzung zwischen Alex und Luisa begann in der Küche. Auslöser waren scharfe Worte, die Alex an Luisa richtete, weil er fand, sie hätte nach ihrem Kochen nicht ordentlich sauber gemacht. Er bemängelte eine Fleck auf dem Kochfeld. Luisa ging sofort unter die Decke und konterte mit einem ebenso geladenen Kommentar. Ein Wort folgte aufs nächste und im Nu hatten sich beide so richtig in der Wolle.

Wenn ein Streit so schnell Fahrt aufnimmt, kann man davon ausgehen, dass es nicht wirklich um den sachlichen Gehalt geht, der Inhalt des Streits ist. Ein Fleck auf dem Ceranfeld ist im Normalzustand kein Grund, so scharf zu werden, wie Alex in der Situation.

Als ich hinzukam, waren die beiden bereits auseinander gegangen und wollten nicht mehr miteinander reden. Beide schäumten vor Wut. Jeder von ihnen war vollkommen überzeugt davon im Recht zu sein.

Auch wenn es sich so anfühlt: Es geht nicht ums Recht haben

Ich hörte mir beide nacheinander in Ruhe an, ohne mich auf eine Seite zu schlagen. Beide erzählten mir eine in sich schlüssige Geschichte, warum sie jeweils alles Recht auf ihre Wut hätten und warum die Schuld auf jeden Fall beim anderen lag. Wenn ich nur eine Seite gehört hätte, wäre die Versuchung da gewesen, der Person beizupflichten, denn beide Geschichten waren intelligent und gekonnt vorgetragen.

Ich hörte zwei ganz verschiedene, aber jeweils in sich stimmige Geschichten, die beide die Wut der Protagonisten vollständig zu erklären schienen. Wenn ich mich auf die Inhaltsebene begeben hätte, wäre der Konflikt nicht zu lösen gewesen. Denn keinem hätte man mehr Recht geben können als dem anderen. Genau das ist das Wesen eines Streits: Das Gefühl, total im Recht zu sein. Und das auf beiden Seiten.

Was will gesehen werden?

Es begannen Gespräche, bei denen ich als Vermittlerin fungierte. Zuerst arbeitete ich mit beiden einzeln heraus, was wirklich hinter dem Gefühl der Verletztheit stand. Es stellte sich heraus, dass im Fall von Alex sich über einen längeren Zeitraum einiges angestaut hatte. Er hatte sich mehrfach übergangen gefühlt und einer seiner Grundwerte – das Mitdenken für die Gemeinschaft – war in den letzten Wochen mehrfach verletzt worden. Er hatte es nicht geschafft, dies frühzeitig anzusprechen, weil er die Harmonie nicht gefährden wollte. Der Fleck auf dem Herd und ein überquellender Mülleimer ließen das Fass dann überlaufen.

Luisa konnte diesen Ausbruch (natürlich) nicht verstehen, da sie keine Ahnung von der Vorgeschichte hatte und fühlte sich vollkommen zu Unrecht gemaßregelt. Gleichzeitig sprang bei ihr eine Abwehrreaktion an, weil sie der autoritäre Tonfall von Alex massiv triggerte. Sie fühlte sich als Blitzableiter missbraucht, nicht ahnend, dass ihr Verhalten der letzten Zeit dabei eine Rolle spielte.

Ich als Mittlerin konnte die Sichtweise des jeweils anderen frei von emotionaler Ladung in den wesentlichen Aspekten kommunizieren. Die beiden hätten das alleine zu dem Zeitpunkt nicht geschafft.

Wenn kindliche Verletzungen sich melden

Wenn sehr starke Emotionen im Spiel sind, kann man sicher sein, dass sie ursächlich nicht aus diesem Moment stammen. Die aktuelle Situation hat lediglich den Auslöser geliefert. Die Ursache liegt fast immer in einer gespeicherten kindlichen Verletzung. Kinder erleben ihre Emotionen in einer sehr puren Form. Wer schon mal ein wütendes Kleinkind erlebt hat, das sich schreiend auf den Boden schmeißt, weiß, was ich meine. Wenn einen erwachsenen Menschen seine Emotionen so stark überrollen, dass er keine andere Sicht als die eigene mehr zulassen kann, dann steckt fast immer eine Kindheitsverletzung dahinter. In diesem Zustand ist Versöhnung meist nicht möglich. Da ist es besser auseinanderzugehen und sich erst einmal um sich selbst zu kümmern.

In den zwei auf den Küchenstreit folgenden Tagen begannen Luisa und Alex mit meiner Hilfe mehr und mehr zu reflektieren, was in ihnen abgelaufen war und welche ursächlichen Prägungen sie jeweils mitbrachten. Diese waren – was sehr typisch für solche Dynamiken ist – genau gegensätzlich. Alex war darauf gepolt, immer für alle mitzudenken. Luisa konnte sehr gut für sich selbst sorgen, was auf Alex wie der pure Egoismus wirkte.

Mit der Zeit konnte Alex sich eingestehen, dass er an diesem Punkt von Luisa etwas lernen kann: Nämlich gut für sich zu sorgen. Genau dies hatte er über längere Zeit vernachlässigt und auch im Zusammensein der letzten Wochen nicht getan.

Und Luisa konnte erkennen, dass sie die Neigung hat, sich immer mehr auszubreiten, wenn sie keine begrenzenden Signale empfängt. Und sie konnte erkennen, dass ihr ausgeprägtes Sich-um-sich-kümmern damit zu tun hatte, dass sie Alex nicht zur Last fallen wollte.

Beide spürten nach zwei Tagen, dass sie an ihren Kernthemen angekommen waren und konnten jeweils eine sehr reflektierte, versöhnliche Nachricht an den anderen schicken. Beide haben durch diesen mehrstufigen Prozess einen Zuwachs an Bewusstsein für die eigenen zugrunde liegenden Verletzungen gewonnen sowie die Erfahrung eines konstruktiven Streitverlaufs gemacht.

Und ich habe die wesentlichen Bestandteile eines heftigen Streits fast lehrbuchartig vorgeführt bekommen und möchte die wichtigsten Punkte noch einmal zusammenfassen:

  • Man streitet fast nie um das, von dem man denkt, dass man darüber streitet.
  • Wenn sehr starke Emotionen im Spiel sind, liegt die Ursache fast immer in der Kindheit.
  • Wenn man das Gefühl hat, hundertprozentig im Recht zu sein, ist man es nicht. Man ist in einem aktivierten Zustand in dem sich das Kindheits-Ich meldet.
  • Man ist dann im Erwachsenenmodus, wenn man sich auf eine andere Sicht des Geschehens gedanklich einlassen kann.
  • Wenn man aktiviert ist, kann man nicht konstruktiv kommunizieren. Man geht besser auseinander und kümmert sich erst mal um sich selbst.
  • Meist lebt der andere etwas, das man selbst nicht integriert hat. Manchmal gibt es da etwas zu lernen. Frage: Was spiegelt der andere mir gerade?

Vielleicht hilft diese Checkliste dir zu einem konstruktiven Umgang mit der nächsten Konfliktsituation.

 

Foto: Gerd Altmann