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Ich leiste Dienst am Menschen. Beruflich und außerberuflich.
Das eine wird bezahlt, das andere nicht.

In den letzten Jahren ist der nicht bezahlte Dienst mehr geworden. Immer mehr. Zwei 90-jährige, zwei Leben, zwei Haushalte, zwei Städte, zwei Gesundheitsfälle.
Zwei Menschen mit körperlichen Notwendigkeiten, sozialen und intellektuellen Bedürfnissen.
Zwei emotionale Wesen mit Freude, Sorge, Kummer und Angst.
Ich sehe, was sie brauchen. Und ich gebe es ihnen. Ich kümmere mich – teilweise unter schwierigen Bedingungen.

Meine bezahlte Arbeit muss zurückstecken. Der Verdienst wird weniger. Es wird unbequem. Ich gerate selber unter Druck.
In mir werden Stimmen wach, die mich dafür verurteilen, dass ich so wenig verdiene. Sie flüstern mir ein, ich würde etwas falsch machen. Sie geben mir das Gefühl, nicht mithalten zu können, es irgendwie „nicht zu schaffen“. Nicht gut genug zu sein.
Druck von außen.
Druck von innen.

Ich ziehe Bilanz und da kommt der Schock!!

Ich habe selber überhaubt keine Wertschätzung für das, was ich tue.
In meiner inneren Bilanz zählt es nicht mit, was ich als Tochter und Patenkind leiste. Ich sehe zwar, dass ich es sehr, sehr gut mache, aber es hat in meiner inneren Bilanz keinen wirklichen Wert.

Es scheint so selbstverständlich zu sein, dass ich das tue, was ich kann:

Ich organisiere,
verwalte,
chauffiere,
finde kreative Lösungen,
leiste Coachingarbeit,
helfe im Haushalt,
bespreche und führe die Mithelfer,
sorge für ein gutes Klima,
gebe Orientierung in einer Lebensphase die Angst macht, bin der Anker und der Fels in der Brandung.

Wenn diese Aufzählung in einer Stellenbeschreibung stünde, würde man sagen, da wird jemand für vier Jobs in einem gesucht.

Ja, genauso ist es. Neben meinem eigentlichen Job, mache ich mehrere andere.

Der Schock, den ich gerade fühle, ist die eigene Blindheit für den Wert dieser All-inclusive-Leistung, die ich „nebenbei“ erbringe. Genau diese Wertschätzungs-Blindheit bringt mich in emotionale und finanzielle Schieflage und unsere Gesellschaft in die zwischenmenschliche Kältestarre.

Ein Frauenthema?

Diese Blindheit steckt tief in unserer Gesellschaft: Durch sie bleibt die Einkommenskluft zwischen „Männerberufen“ und „Frauenberufen“ stabil bestehen. Weil diese „weichen“ Werte keinen bezifferbaren Wert haben; weil sie nicht in € ausgedrückt werden, führen sie ein Schattendasein.

Es ein gesellschaftlicher Fußtritt ins Gesicht aller Frauen, die diese Arbeit seit Ewigkeiten tun. Es ist definitiv ein Frauenthema, denn sorry, liebe Männer, ihr seid erst recht kurz und sehr vereinzelt mit dabei.

Und gleichzeitig braucht es endlich männliche Anerkennung! Die Anerkennung, dass das, was Care-Arbeit einen Wert hat. Das wird erst durchsickern, wenn sich auch entscheidungstragende Männer mit diesem Thema befassen.

Welche Bedeutung hat diese Care-Arbeit denn nun für uns als Gesellschaft – für uns Frauen, für euch Männer? Wen interessiert das Thema? Wer hält es für relevant?
Hat es einen Wert, dass Menschen im Alter immer noch als vollständige Menschen behandelt und nicht nur verwaltet werden?

Wie wichtig ist die materielle Wert-Schätzung (und Entlastung) für die, die diese Leistungen privat erbringen?

Es braucht ein Dorf, um ein Kind zu erziehen. Es braucht ebenfalls ein Dorf, um einen alten Menschen zu begleiten.
Sind wir ein Dorf?

 

 

Bild: Vilius Kukanauskas